Hannes Neupert beschäftigt sich seit 1982 intensiv mit elektrischer Mobilität und insbesondere mit dem Pedelec. Im easybiken-Interview äussert er sich kritisch über Leistungsbeschränkungen, erklärt, was die Sicherheit verbessert und blickt in die Zukunft der Fahrradbranche und ihrer Produkte.
Wer hat das E-Bike erfunden?
Hannes Neupert, Präsident des ExtraEnergy e. V:
Nun hier würde ich mal differenzieren, das E-Bike wurde bereits im 19.
Jahrhundert in den 1890er Jahren von mehreren Menschen umgesetzt. Das
Pedelec wurde 1982 von Egon Gelhard patentiert, er ist aus meiner Sicht
der Erfinder. Das erste fahrbare Pedelec wurde von Michael Kutter 1990
in Basel vorgestellt.
Wie sind eigentlich die beiden E-Bike-Kategorien (25 km/h und 45 km/h) entstanden?
Hannes Neupert:
Das Pedelec25 wurde in Japan 1992 in der Gesetzgebung weltweit
erstmalig definiert. Das Pedelec 25 wurde 1994 in Deutschland das erste
Mal umgesetzt und kurz drauf auch europäisch beschrieben. In der Schweiz
wurde das Pedelec45 schon 1992 definiert und dann 2000 auch in
Deutschland und damit in der EU eingeführt.
Nach welchen Kriterien hat man die Maximalleistung von 250 bzw. 500 Watt festgelegt?
Hannes Neupert:
Das ist leider ein übler Unfall – in der ersten Ausnahmeverordnung von
1994 durch den Deutschen Verkehrsminister Wissmann hat man das
Musterprodukt quasi in der Gesetzgebung beschrieben – das Pedelec der
Marke Joker hatte 250 Watt Nenndauerleistung in der Spezifikation stehen
– dies wurde ohne Nachdenken in die Gesetzgebung übernommen.
Weshalb gelten in der Schweiz andere Leistungsgrenzen als im EU-Raum?
Hannes Neupert:
Die Schweiz war immer schon Pionierland, was neue Gesetze im Bereich
des Pedelecs angeht. Doch leider hat man sich auch in der Schweiz noch
nicht vom aus physikalischer Sicht sinnfreien Sicherheitskonzept der
Leistungsbegrenzung befreit und auf die Limitierung der tatsächlich aus
Sicht der Unfallforschung relevanten Parameter Beschleunigung und
maximaler Geschwindigkeit einigen können. Dies, obwohl der wohl
wichtigste Forscher in diesem Bereich, Dr. Andreas Fuchs, dies in der
Schweiz seit vielen Jahren propagiert. Fuchs hat das Konzept des
beschleunigungslimitierenden Sicherheitskonzeptes im Laufe der letzten
13 Jahre immer weiter detailliert und publiziert. Speziell aus Sicht
eines Landes mit vielen steilen Anstiegen macht es Sinn, die Leistung
nicht zu limitieren, sondern lediglich die Beschleunigung und die
maximale Geschwindigkeit. Hier könnte es auch Sinn machen, die
Geschwindigkeit, die bergab erreicht wird, miteinzubeziehen.
Kannst du das Sicherheitskonzept noch ausführlicher beschreiben?
Hannes Neupert:
Das Konzept zielt darauf ab, das Anfahrverhalten von E-Bikes so zu
gestalten, dass es dem eines herkömmlichen Fahrrads ähnelt. Durch eine
clevere Definition der Beschleunigung in der Software des Pedelecs wird
das Anfahrverhalten reguliert, sodass das Unfallrisiko nicht höher ist
als bei einem herkömmlichen Fahrrad. Es gilt die Motorunterstützung so
zu steuern, dass plötzliche und unkontrollierte Beschleunigungen
vermieden werden.
Was ändert sich für die Akkuhersteller und was für E-Bike-Hersteller?
Hannes Neupert:
Am Ende muss der Fahrzeughersteller dafür geradestehen, dass alle
Komponenten inklusive der Batterie die gesetzlichen Mindestanforderungen
erfüllen. Die dafür notwendige Kompetenz hat aber meines Wissens keiner
der Fahrzeuhersteller, der aktuell in der EU liefert. Daher sollten die
Vorlieferanten diese Kompetenzen haben. Aber auch hier ist das nicht
immer gewährleistet. Das fängt dabei an, dass ab September 2025 die
Übergangsfrist zur Einhaltung der EN 50604+A1 Anforderungen abgelaufen
ist. Also alle anderen Batterien nicht mehr neu in den Verkehr gebracht
werden dürfen. Das entwertet mit einem Mal viele der vollen Lager von
Händlern und Herstellern. Ich erwarte, dass die meisten diese
Anforderungen nicht pünktlich erfüllen werden. Es bleibt abzuwarten, ob
und wie die Marktaufsichtsbehörden durchgreifen. Wenn hart kontrolliert
wird, wird dies zu einer bisher ungesehenen Konkurswelle bei Händlern
und Herstellern führen. Ich wundere mich, wie ignorant in der Branche
mit einem so sicherheitskritischen Thema wie der Batteriesicherheit
umgegangen wird.
Wie wird das E-Bike in 10 und in 20 Jahren aussehen?
Hannes Neupert:
Viel flächiger im Design, ohne sichtbare Schraubverbindungen, so wie
moderne Produkte wie PKWs und Mobiltelefone. Sie werden sich über die
Software definieren und uns auch nicht mehr gehören, sondern als
Mobilitätsservice pro Zeiteinheit zur Verfügung stehen. Der Fahrspass
wird massiv erhöht sein, dank individualisierter Software, die sich
unserer Tagesverfassung anpasst und uns auf dem Weg zur Arbeit wach
machen und einen Motivationsschub geben wird, auch wenn wir noch müde
und trübe im Kopf gestartet sind. Das Elektrovelo als Personal-Coach,
Kaffee-Ersatz und Spassobjekt. Jeder Velohersteller ohne kompetente
Softwareabteilung wird in 10 bis 20 Jahren vom Markt verschwunden sein.
Der Diebstahl von Pedelecs wird ein Thema der Vergangenheit sein. Die
Formate von Pedelecs auch mit mehr Spuren, mit Wetterschutz, als
Freizeit- und Familiengerät, als Handwerkerfahrzeug werden sich immer
weiter diversifizieren. Das Velo wie wir es die letzten 100 Jahre
kannten, wird zum extrem hochpreisigen Liebhaberobjekt aufsteigen – so
wie heute die rein mechanischen Schweizer Uhren!
Das komplette Interview ist in der Ausgabe 1/25 im Magazin easybiken zu lesen.
Interview und Fotos: Martin Platter
aus: easybiken, Heft Nr. 1/2025